Wenn Muskeln und Sehnen schmerzen –
das Fibromyalgie-Syndrom (FMS)

Gesundheits-

sprechstunde

Dr. med. Monika Baumann 

Sprechstunde:

Eine Patientin, 58 Jahre, stellt sich mit ständig, sehr starken Muskelschmerzen vor, die häufig wechseln, mal von der Hüfte in die Schulter und dann in die Wirbelsäule usw. Der Schlaf ist schlecht, vor allem morgens fühlt sie sich nicht ausgeruht, eher wie gerädert. Die mitgebrachten Laborwerte zeigen keine Auffälligkeiten, v.a. keine erhöhten Entzündungszeichen. Sie war bereits bei 5 Ärztinnen und Ärzten, die ihr bis jetzt keine Diagnose nennen konnten.

Die Patientin wurde mittels Fragebogen und im persönlichen Gespräch gebeten, die Schmerzorte einzuzeichnen und über den Beginn der Erkrankung zu sprechen.

Therapievorschlag:

Aufklärung über das Krankheitsbild des FMS, die Prognose und die möglichen Therapieformen.

Die Patientin erhielt folgenden persönlichen Therapieplan:

  • Psychotherapie zur Verarbeitung des Todes der Mutter
  • Stangerbäder zur Verbesserung der lokalen Schmerzen
  • Amitriptylin 10 mg abends, zur Schlafverbesserung
  • Walking 15 – 30 Minuten täglich, langsam, aufbauend (Erschöpfung soll vermieden werden)
  • Verordnung von Funktionstraining in der Gruppe

    Beginn einer Psychotherapie konnte erst in 4 Monaten vereinbart werden, der Antrag auf ein Funktionstraining wurde zur Krankenkasse geschickt.

    Stangerbäder wurden rezeptiert, vermutlicher Therapiebeginn in ca. 3-4 Wochen.

    Eine Wiedervorstellung in 4 Wochen, unter Einnahme des Antidepressivums Amitriptylin und nach Beginn des Walking Programmes wurde vereinbart.

    Befund:

    Schmerzorte am ganzen Körper, Schmerzstärke (0-10) bei 7, d.h. starke Schmerzen.
    Beginn vor 3 Jahren, da starb ihre Mutter, deren Tod die Patientin bis heute nicht verarbeiten konnte.
    Keine dauerhaften Medikamente, keine bisherige Therapie. Ibuprofen 400 mg haben nicht geholfen.

    DIAGNOSE:

    Verdacht auf Fibromyalgiesyndrom mit Erschöpfung und Ganzkörperschmerzen durch Tod der Mutter

    Wissenswertes zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS):

    Chronische Schmerzerkrankung

    Fibromyalgiesyndrom ist eine chronische, nicht-entzündliche Schmerzerkrankung, die sich durch Schmerzen in der Muskulatur und den Sehnen­ansätzen ausdrückt. Es besteht eine weitgehende Übereinstimmung in der Grundlagenforschung, dass ein wesentlicher Mechanismus des FMS eine veränderte Reizverarbeitung im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und keine Muskelerkrankung ist.

    Wie viele Menschen leiden unter einem Fibromyalgiesyndrom?

    Laut einer US-amerikanischen Studie wurden bei zwei Prozent der Bevölke­rung die gesicherte Diagnose Fibromyalgie gestellt. Auf Deutschland bezo­gen sind dies mindestens 1,6 Millionen Betroffene. Anderen Schätzungen zu­folge sollen sogar drei bis fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sein. Das Verhältnis Frauen zu Männern liegt bei neun zu eins. Der Erkrankungsbeginn liegt meistens im mittleren Lebensalter.

    Erschöpfung und Müdigkeit

    Menschen, die an dieser Erkrankung leiden, berichten oft zusätzlich über Erschöpfung und Müdigkeit; sie fühlen sich morgens nicht ausgeschlafen, obwohl sie lange Stunden geschlafen haben. Kopfschmerzen, Reizdarm, Wassereinlagerungen, Schwindel, um nur einige zu nennen, kommen hinzu.

    Schlafstörungen

    Im Schlaflabor wurde beim Fibromyalgiesyndrom ein fehlender oder seltener Tiefschlaf beobachtet (Delta Wellen im EEG). Damit erklärt sich die morgendliche Müdigkeit und Erschöpfung, obwohl die Menschen nachweislich geschlafen haben.

    Depressionen und Panikstörungen

    Menschen mit einem Fibromyalgiesyndrom erlebten überproportional häufig emotionale oder körperliche Gewalt in der Vergangenheit. Sie leiden unter depressiven Schüben, Angst- und Panikstörungen.

    Depressionen sind eine häufige Begleiterscheinung des Fibromyalgiesyndroms

    Fibromyalgiesyndrom und die Anerkennung der Krankheit

    Da bis jetzt eine Ursache des Fibromyalgiesyndroms unbekannt ist, haben Betroffene sowohl bei Ärzt*innen, aber auch in der Familie und am Arbeitsplatz Probleme ernst genommen werden, vor allem, wenn eine wiederkehrende Arbeitsunfähigkeit eintritt. Medizinisch gibt es bis jetzt keinen Beweis für diese Erkrankung, deshalb kämpfen die Betroffenen mit der Angst als Hypochonder „abgestempelt“ zu werden.

    Ärztliche Besuche und Operationen

    Es werden in der Regel viele Ärzt*innen aufgesucht, bis einmal die Diagnose: Fibromyalgiesyndrom gestellt wird. Nicht selten passieren sogar mehrfache Operationen, ohne das Krankheitsbild zu verbessern.

    Aufklärung von Patienten*innen und deren Familie

    Wird erstmals die Diagnose gestellt, ist bei vielen Patient*innen eine Erleichterung zu spüren, endlich eine Diagnose zu bekommen. Mitunter werden Familienmitglieder über die Erkrankung auch aufgeklärt. Stets sollte eine positive Nachricht an alle Beteiligten vermittelt werden: Es droht keine schwere Komplikation, Pflegebedürftigkeit oder ein vorzeitiger Tod durch diese Erkrankung. Es wird vermittelt, dass die Patient*innen medikamentöse, physiotherapeutische, v.a. psychotherapeutische Unterstützung und eine Anleitung zur Selbsthilfe erhalten.

    Ärztliche Diagnostik

    Durch die ärztliche Diagnostik werden andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome hervorrufen könnten, ausgeschlossen. Bestimmt werden Entzündungswerte und Laborwerte, die Schilddrüsen-, Stoffwechsel-, und rheumatische Grunderkrankungen erkennen lassen. Medikamente und deren Nebenwirkungen werden erfasst und die berufliche Situation angesprochen. Eine körperliche Untersuchung geht einer evtl. Bildgebung (Röntgen, Kernspintomographie usw.) voraus. Wenn keine anderen Ursachen für die geschilderten Schmerzen gefunden werden, kann von einem Fibromyalgiesyndrom ausgegangen werden.

    Wie wird das Fibromyalgiesyndrom behandelt?

    Die Behandlung der Fibromyalgie er­fordert ein umfassendes Behandlungs­konzept. Ärzt*innen Physiotherapeut*in, Psycho­therapeut*in und Patient*in spielen dabei eine aktive Rolle.

    Moderates Ausdauertraining, Muskelentspannung

    Studien haben gezeigt, dass Aerobic, Schwimmen, Aqua-Gymnastik, Tanzen und Spaziergänge (kein Jogging!) die Fit­ness verbessern und dadurch Muskel­schmerzen und Steifigkeit lindern. Auch meditative Bewegungstherapie wie Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga sind hilfreich. Zusätzlich werden Entspannungsübungen empfohlen, die selbst erlernt werden sollten. Es eignet sich dafür die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, da sie gut im Alltag angewendet werden kann.

    Wassergymnastik können Muskelschmerzen und Steifigkeit entgegenwirken.

    Physikalische Therapie

    Wärme oder Kälte haben einen positiven Kurzzeiteffekt und können sehr gut zu Hause angewendet werden. Feuchte Kälte- oder Wärmean­wendungen haben sich allerdings als negativ erwiesen. Lymphdrainagen werden bei Schwellungen und Ödemen v.a. der Beine verordnet.

    Einige der Patient*innen sprechen positiv auf eine Ganz­körper-Kältetherapie (bei -110° C) an, andere auf eine Ganzkörper­-Wärmetherapie, z. B. auf der Sandbank oder in der Infrarot­-Wärmekabine. Diese Therapieformen sind hauptsächlich in medizinischen Zentren und dann im Rahmen einer Tagesklinik erhältlich.

    Sehr gut werden sog. Stangerbäder empfunden, die in bestimmten klinischen Einrichtungen noch vorhanden sind. Eine Rezeptierung von 10 Behandlungen im 1/4 Jahr ist möglich.

    Medikamente

    Antidepressiva dienen dabei zur Aufhellung der Stimmung, zur Verbesserung des Schlafes und damit zur Muskelentspannung. Leitlinienempfohlene Medikamente sind Amitriptylin, Duloxetin und Pregabalin. Muskelentspannende Medika­mente helfen nur vorübergehend und dürfen nicht dauerhaft gegeben werden. Cortison und sonstige Rheumapräparate sind nicht besonders hilfreich. Allerdings können auch Medikamente zu Muskelbeschwerden führen, so schildern bis zu 10% aller Patient*innen Muskelschmerzen unter einer Statintherapie gegen erhöhtes Cholesterin.

    Cannabisbasierte Arzneimittel sind eine neue Behandlungsoption. Die beiden am besten charakterisierten Cannabinoide der Hanfpflanze sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Beide haben schmerzlindernde, schlafanstoßende und evtl. antientzündliche Wirkung.

    Arneimittel mit Cannabis haben schmerzlindernde und antientzündliche Wirkung.

    Psychotherapie

    Zur Krankheitsbewältigung ist eine gesprächstherapeutische Be­gleitung im Rahmen einer Psychotherapie notwendig. Gute Ergebnisse wurden durch eine kognitive/operante Verhaltenstherapie erreicht.

    INFO:

    Fibromyalgie Verein Bayern e.V., Selbsthilfegruppe München, Esebeckstr. 17, 80637 München, Tel. 089/14 90 36 62, www.fibromyalgie-bayern.de

    Deutsche Rheuma-Liga Landesverband Bayern e.V., Bonner Platz 1, 80803 München, Tel. 089/30 95 42, www.rheuma-liga-muenchen.de

    Tagesklinik für Fibromyalgie – Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation LMU, Klinikum Campus Innenstadt, Ziemssenstraße 1, 80336 München, www.klinikum.uni-muenchen.de

    Die Gesundheits-Sprechstunde am Dienstag

    Neue Folgen von Frau Dr. Monika Baumanns Gesundheitssprechstunde erscheinen in regelmäßigen Abständen.
    Falls Sie konkrete Fragen zum Thema Gesundheit haben, schreiben Sie uns doch ein Mail.

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