Wenn es ohne Pflege nicht mehr geht

Die Ursache kann ein Unfall oder eine Erkrankung sein und plötzlich wird man selbst oder ein Angehöriger pflegebedürftig. Dabei reicht die Hilfe von Freunden und Familie oft nicht mehr aus, um weiterhin allein leben zu können. Hier die wichtigsten Tipps bei Pflegebedürftigkeit.

Wenn der Pflegefall eintritt, so ist das immer für die Betrof­fenen, aber auch für die Angehörigen ein gravierender Einschnitt im Leben. Es stellen sich meist schwer­wiegende Fragen: Wie soll die Pflege organisiert und finanziert werden? Wo kann man sich beraten lassen? Auf den folgenden Seiten fin­den Sie die wichtigsten Informationen, wie man sich systematisch mit dem Thema Pflegebe­dürftigkeit auseinander­setzen kann.
Allein in München gibt es derzeit fast 100 teil- oder vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit einer Vielzahl unterschiedlicher Pflegeplätze und eine noch größere Anzahl an öffentlichen und pri­vaten Dienstleistern für die Pflege in den eigenen Wänden. Hinzu kommen Beratungsstellen verschiedener Träger mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Im Folgenden erfahren Sie mehr zu den ersten Schritten bei Pflege­bedürftigkeit.

1. Antragstellung

Benötigen Sie oder Ihr An­gehöriger Unterstützung für die Pflege, stellen Sie einen An­trag auf Pflegeleistungen bei der Pflegekasse, bei der Sie bzw. die pflegebedürftige Person kranken­versichert sind. Sie können bei der Krankenkasse anrufen und erhal­ten einen Antrag zugeschickt. Vie­le Kranken- bzw. Pflegekassen stellen auch Formulare online be­reit. Bei einem Erstantrag haben Sie Anspruch auf eine Pflege­beratung innerhalb von zwei Wo­chen nach der Antragstellung, auf Wunsch auch bei Ihnen zu Hause oder in der Wohnung des pflege­bedürftigen Angehörigen.

2. Begutachtung durch Medizinischen Dienst

Nachdem Sie den Antrag auf Pflege­leistungen gestellt haben, meldet sich ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), um persönlich bei Ihnen bzw. dem pflegebedürftigen Angehörigen vorbeizukommen. Bei Privatversicher­ten ist es ein Gutachter von MEDIC-PROOF. Ziel des Besuches ist es, dass sich der Gutachter ein Bild über den Pflegebedarf macht und dabei den Grad der Pflegebedürftigkeit ermittelt. Daraus wird der individuelle Pflegegrad und Unterstützungsbedarf abgeleitet.
Es empfiehlt sich, diesen Termin gut vorzubereiten und als Angehöriger bei dem Gespräch persönlich mit dabei zu sein. Im Vorfeld sollten Beobachtungen notiert werden, wo es Schwierigkeiten gibt, den Alltag selbstständig zu be­wältigen. Wichtig ist, dem Pflegebe­dürftigen nahe zu legen, seine Hilfsbe­dürftigkeit nicht aus falscher Scham zu bagatellisieren. Zur Zeit werden diese Gespräche coronabedingt oft nur tele­fonisch durchgeführt.

Nach dem Termin leitet der Gutach­ter seine Beurteilung zur Prüfung an die Pflegekasse weiter. Diese ist ver­pflichtet, den Bescheid mit der Geneh­migung oder Ablehnung eines Pflege­grads spätestens fünf Wochen nach der Antragstellung zuzuschicken. Im Falle einer Ablehnung können Sie innerhalb von vier Wochen gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen.

3. Kriterien der Begutachtung

Die Pflegeversicherung beurteilt die Pflegebedürftigkeit nach körperlichen, psychischen und kog­nitiven Fähigkeiten in diesen sechs Bereichen:

    1. Mobilität (z. B. wie selbstständig geht der/die Pflegebedürftige oder ändert die Körperhaltung?)
    2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (z. B. wie orientiert er/sie sich räumlich und zeitlich, wie beteiligt er/sie sich an Gesprächen?)
    3. Verhaltensweisen und psychi­sche Probleme (z. B. benötigt er/sie Hilfe aufgrund von aggressivem oder ängstlichem Verhalten?)
    4. Selbstversorgung (wie selbststän­dig versorgt er/sie sich im Alltag, z. B. bei Körper­pflege, Essen und Trinken?)
    5. Bewälti­gung von und selbst­ständiger Umgang mit krankheits­oder thera­piebedingten Anforderun­gen und Belastungen (z. B. braucht er/sie Hilfe bei der Einnahme von Medikamenten oder bei dem Wechsel von Verbänden?)
    6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (z. B. wie selbstständig kann er/sie den Tages­ablauf planen und Kontakte pflegen?)

    In diesen 6 Bereichen werden Punkte vergeben und nach der Bedeutung für den Alltag gewichtet, z. B. der Bereich „Selbstversorgung“ mit 40 Prozent oder der Bereich „Mobilität“ mit 10 Prozent. Je höher die Punktezahl, desto schwerwiegender die Beeinträch­tigungen und höher der Pflegegrad.

    4. Pflegegrade

    Die Ergebnisse der Begutachtung nach Punktwerten bilden sich in fünf Pflegegraden ab, abgestuft nach dem persönlichen Bedarf an Unter­stützung und Pflege:

    Pflegegrad 1

    Hier werden Menschen berücksichtigt, die nicht viel Pflege, dafür aber Hilfe im Alltag benötigen. Damit soll ein möglichst langes selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht werden. Pflegebedürftige, die ihre Greif-, Steh- und Gehfunktion vollstän­dig verloren haben, werden hingegen grundsätzlich immer dem höchsten Pflegegrad 5 zugeordnet.
    Da nicht nur körperliche, sondern auch psychische und kognitive Beeinträchti­gungen in die Beurteilung einfließen, erhalten mittlerweile auch demenziell Erkrankte die gleichen Pflegeleistungen wie körperlich Pflegebedürftige.

    5. Pflegegeld und Pflegesachleistung

    Je höher der ermittelte Pflegegrad ist, desto höher sind die Leistungen, die von der Pflegekasse übernommen werden:

    Ab Pflegegrad 2

    Hier werden die Leistungen als Pflege­geld oder als Sachleistung ausgezahlt, die auch miteinander kombiniert werden können. Zusätzlich gibt es einen Entlas­tungsbetrag für pflegende Angehörige. Über die Pflegesachleistung kommt ein ambulanter Pflegedienst zum Pflegebe­dürftigen nach Hause. Der Pflegedienst rechnet Pflegemaßnahmen (z. B. Hilfe beim Waschen oder Ankleiden), Hilfen im Haushalt (z. B. Einkaufen oder Kochen) und pflegerische Betreuungsmaßnah­men direkt mit der Pflegekasse ab.

    Pflegegeld

    Pflegegeld erhalten Sie als Angehöriger oder als sonstige ehrenamtliche Pflege­person, wenn Sie die häusliche Pflege übernehmen. Der Pflegebedürftige er­hält das Pflegegeld und bestimmt, wie das Geld für Pflege und Betreuung aus­gegeben wird.
    Achtung: Das Pflegegeld wird nur aus­gezahlt, wenn regelmäßige Beratungs­besuche in Anspruch genommen wer­den. In den Pflegegraden 2 und 3 sind halbjährliche Beratungsbesuche und in den Pflegegraden 4 und 5 vierteljähr­liche Intervalle vorgeschrieben. Die Kosten übernimmt die Pflegekasse.

    Besonderheiten ab Pflegegrad 1

    Als weitgehend selbstständig, gering­fügig Pflegebedürftiger bei Pflegegrad 1 erhält man monatlich 125 Euro für Be­treuung und Entlastung. Da Pflegesach­leistungen durch einen Pflegedienst bei diesem Pflegegrad nicht von der Pflege­kasse bezahlt werden, muss der Pflege­bedürftige diese Kosten bei Bedarf selbst übernehmen. Nur als Bewohner einer ambulant betreuten Wohngruppe wer­den Pflegehilfsmittel und Zuschüsse zur altersgerechten Wohnraumgestaltung bis zu 4.000 Euro im Jahr übernommen.

    Damit die Pflegebedürftigen auch in Abwesenheit ihrer Angehörigen gut versorgt sind, kann ab Pflegegrad 2 einmal im Jahr eine sogenannte Ver­hinderungspflege in Anspruch genommen werden. Sie kann maximal 6 Wochen betragen und bei Bedarf auch mit einer Kurzzeitpflege verrech­net werden. Insgesamt besteht dadurch die Möglichkeit, jährlich 2.418 Euro als Ergänzung zum Pflegegeld zu beantragen.
    Hinweis: Zudem kann man ab Pflegegrad 2 in Bayern momentan 1.000 Euro Landespflegegeld pro Jahr erhalten.

    Besonderheiten ab Pflegegrad 2

    Wurde die pflegebedürftige Person mit mindestens Pflegegrad 2 eingestuft, hat sie Anspruch auf Pflegesachleistungen für die Pflege durch einen häuslichen Pflegedienst oder die ambulante Versor­gung in einer Einrichtung für Tagespfle­ge oder Nachtpflege. Der Pflegedienst muss von der Pflegekasse anerkannt sein. Anstelle von Pflegesachleistungen kann auch Pflegegeld zur häuslichen Pflege durch einen Angehörigen bean­tragt werden. Pflegegeld und Sachleis­tung können auch kombiniert werden. Bis zu 40 Prozent der Sachleistungen stehen für häusliche Betreuungsleistun­gen wie Vorlesen, Spazierengehen oder Entlastung für pflegende Angehörige (z. B. eine Putzhilfe) zur Verfügung. Wer­den die Sachleistungen nicht ganz aus­geschöpft, steht anteilig Pflegegeld zu.

    Entlastungsbetrag

    Pflegebedürftige aller Pflegegrade haben Anspruch auf den Entlastungsbetrag. Dieser darf für Leistungen von zugelassenen Diens­ten zur Entlastung pflegender Angehöriger, wie z. B. Vorlesen, Spazierengehen, Tages­pflege, Kurzzeitpflege, Putzhilfen oder Fahr­dienste, verwendet werden.

    6. Hilfsmittel für die Pflege

    Die Pflegekasse übernimmt auch die Kosten für Pflegehilfsmittel, dazu gehören unter anderem Pflege­betten, Pflegerollstühle oder Haus­notrufsysteme. Volljährige Versicherte steuern zehn Prozent, höchstens jedoch 25 Euro pro Pflegehilfsmittel bei. Zum Verbrauch bestimmter Pflege­hilfsmittel, z. B. Bettschutzeinlagen oder Einmalhandschuhe, übernimmt die Pflegekasse Kosten bis zu einer Höhe von 40 Euro pro Monat, darüber hinausgehende Kosten müssen selbst bezahlt werden.

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